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Die gefährliche Angst vorm Hörer

16. Juni 2022

Morgens, halb 10. Ein durchschnittlicher Büroraum mit ein paar Schreibtischen, Computermonitoren. Leise Geräusche von Fingern, die auf Tastaturen tippen, Gesprächsfetzen aus dem Flur. Sie sitzen entspannt auf ihrem Bürostuhl und beantworten E-Mails.

Dann passiert es.

Ihr Telefon klingelt. Laut und durchdringend erreicht das Geräusch Ihre Ohren. Ein Blick auf das Telefondisplay zeigt eine unbekannte Nummer. Ihnen wird erst heiß, dann kalt, Sie beginnen zu schwitzen. Es klingelt weiter, „nun geh doch endlich ran“, zischt eine Kollegin. Nur wie, fragen Sie sich.

Immer mehr Menschen leiden unter einer Telefonphobie. Das hat verschiedene Gründe und ist nicht immer dramatisch. Trotzdem kann die Angst vorm Hörer auch gefährlich werden. Wie wir das Telefonieren verlernt haben – und warum wir es dringend wieder lernen müssen, erläutern wir Ihnen in diesem Artikel.

Wie unser Kommunikationsverhalten eine Telefonphobie begünstigt

Die Telefonphobie ist (noch) kein klinisch erfasstes Phänomen. Mediziner glauben allerdings, dass es sich als Ausprägung einer Soziophobie zu einem entwickeln könnte.

Grund ist ein verändertes Kommunikationsverhalten, das immer stärker auf digitale als auf direkte Kommunikation setzt. Schon lange telefonieren junge Menschen nicht mehr. Treffen mit Freunden werden per Chat vereinbart, längere Inhalte als Sprachnachricht gesendet oder per Live über soziale Medien vermittelt. Selbst die Großeltern sind via Messenger erreichbar.

Gleichzeitig findet auch alltägliche Kommunikation digital statt: Friseurtermine können per Online-Formular vereinbart werden. Die Arztpraxis bittet explizit um Terminvereinbarung per E-Mail. Und wenn man doch mal direkt irgendwo anruft um etwas in Erfahrung zu bringen, kommt nicht selten die Bitte, das Anliegen schriftlich zu formulieren und eine Mail zu senden.

Die Telefonangst hat verschiedene Ausprägungen

Kein Wunder also, dass die Aussicht auf ein Telefonat bei manchen (übrigens nicht nur jungen) Menschen Unwohlsein – oder eben auch Angst – provoziert.

Es gibt sie in verschiedenen Ausprägungen, u.a. Angst davor:

  • selbst jemanden anzurufen
  • angerufen zu werden
  • vor Verhaspeln oder Stottern
  • Gesprächspartner falsch zu verstehen
  • sich selbst falsch auszudrücken
  • etwas Wichtiges zu vergessen
  • sich zu blamieren
  • abgewimmelt zu werden

Es kann sein, dass jemand, der kein Problem damit hat, vor vielen Menschen einen Vortrag zu halten, ins Schwitzen gerät, wenn er jemanden anrufen soll. Und für eine andere Person kann es unerträglich und lähmend sein, auf einen vereinbarten Anruf zu warten. Wir haben das Telefonieren verlernt.

Wir müssen das Telefonieren wieder lernen

Die schlechte Nachricht: Ohne das Telefon geht es nicht. Spätestens mit dem Eintritt ins Berufsleben gewinnt das Telefonieren rasant an Bedeutung: Es ist direkter als eine Mail und schneller zu realisieren als ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

So hilfreich die digitale Kommunikation (auch und insbesondere am Arbeitsplatz) ist, so umständlich ist sie auch. Denn sie provoziert Missverständnisse und kann den Informationsfluss damit sogar verlangsamen. Das direkte Gespräch kann kein digitaler Kommunikationsweg ersetzen.

Klingt nach düsteren Aussichten. Aber: Wenn wir von Telefonphobie sprechen, müssen wir unterscheiden. Steckt dahinter eine echte Angststörung? Oder ist die Angst vorm Hörer doch nur ein Resultat der sozialen Prägung?

Während die echte Soziale Phobie ein großes Problem für die betroffene Person darstellen kann, ist die einfache Angst vorm Telefonieren oft nur in fehlender Übung begründet. Sehr oft beobachten wir dieses Phänomen übrigens beim Autofahren: Wer selten fährt, hat häufig umso mehr Angst davor.

Arbeitgeber können den Lernprozess unterstützen

Es gibt zahlreiche Strategien, Telefonangst zu überwinden. Die beste lautet in diesem Fall: Konfrontation. Oder auch: üben, üben, üben.

Arbeitgeber können ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei unterstützen. Beispielsweise mit klaren Kommunikationsrichtlinien:

  • Für welche Art von Kommunikation soll das Telefon genutzt werden, wozu die Mail, wozu der Chat?
  • Wie melde ich mich am Telefon, wenn ich angerufen werde? Wie, wenn ich jemanden anrufe? Bestenfalls unterscheiden Sie hier noch nach Gesprächspartner (intern, extern, Kunde usw.)
  • Ermöglichen Sie Ihren Angestellten, selbst Telefonzeiten festzulegen. So können sie sich Routinen schaffen.

Außerdem können firmeninterne Kommunikationstrainings helfen – sowie generell eine Unternehmenskultur, in der Ängste offen thematisiert und Lösungswege angeboten werden (beispielsweise zur Vorbereitung auf ein wichtiges Telefonat).

Arbeitnehmer, die unter Telefonangst leiden, können das Problem aber auch selbst angehen, indem sie sich beispielsweise Routinen schaffen – etwa einen allgemeingültigen Einstiegssatz. Hilfreich sind auch Listen mit Sätzen und Strategien, die auf bestimmte Situationen angewendet werden können. Etwa „Hallo Frau X, ich suche einen Ansprechpartner zu Thema Y, können Sie mir dabei weiterhelfen?“ oder „Ich habe zu Thema X bereits mit Herrn Y gesprochen, hätte aber noch eine Nachfrage“.

Belauschen Sie ruhig auch mal Ihre Kollegen, wenn die telefonieren und notieren Sie sich Sätze wie diese. Oder sprechen Sie sie an und bitten sie um Hilfe.

Nicht zuletzt kann übrigens auch der Ort entscheidend für den Verlauf eines Telefonats sein. Manche Menschen haben kein Problem damit, im Großraumbüro zu telefonieren, andere sind lieber ganz alleine. Verlassen Sie also, wenn möglich, das Büro und suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie sich gerne aufhalten. Denn wenn Sie sich wohlfühlen, sind Sie entspannter. Und das merkt auch Ihr Gegenüber.

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