+49 (0)211 96 66 81-0 hallo@neu-innovation.de

Können Sie sich vor­stel­len, dass ein Elektriker eine Baustelle aus dem Home-Office betreut? Schwierig, schließ­lich las­sen Kabel sich nicht digi­tal ver­le­gen. Aber haben Sie viel­leicht schon mal über­legt, wie eine Autowerkstatt pro­fi­tie­ren wür­de, wenn die Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten fle­xi­bel gestal­ten dürf­ten? Und wäre es nicht auch für eine Fliesenlegerin schön, wenn sie in ihrer Kaffeepause eine Runde Kickern gehen könn­te, um die Kreativität anzu­kur­beln?

Wenn wir über neue Arbeitsformen reden, haben wir meist Menschen im Sinn, die ihre Arbeit am Schreibtisch ver­rich­ten. Handwerker tau­chen in die­sen Überlegungen sel­ten auf. Schließlich kön­nen hand­werk­li­che Tätigkeiten nicht mal eben schnell digi­ta­li­siert wer­den.

Dabei ist New Work kei­nes­falls nur etwas für Designer, Werbetexter oder Betriebswirte. Wie Handwerksbetriebe und ihre Kunden von neu­en Arbeitsformen pro­fi­tie­ren, war­um sie dafür gera­de­zu prä­de­sti­niert sind und wo die Grenzen lie­gen, erklä­ren wir in die­sem Artikel. Außerdem haben wir zwei Beispiele von Betrieben, in denen New Work längst ange­kom­men ist.

Warum Handwerksbetriebe neue Arbeitsformen etablieren müssen

Der Fachkräftemangel macht sich in klas­si­schen hand­werk­li­chen Ausbildungsberufen stark bemerk­bar. Das liegt nicht unbe­dingt an man­geln­den Perspektiven oder den Gehaltsaussichten Schließlich kön­nen sich vie­le Handwerksbetriebe der­zeit vor Aufträgen kaum ret­ten.

Laut Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) blie­ben im Jahr 2021 bun­des­weit bei­spiels­wei­se rund 13.400 offe­ne Stellen in der Bauelektrik unbe­setzt. 11.400 Fachkräfte fehl­ten in der Sanitär- und Heizungstechnik – die bei­den Branchen, die der Fachkräftemangel im Handwerk am stärks­ten trifft.

Gleichzeitig stre­ben ins­be­son­de­re jun­ge Arbeitnehmer auch in hand­werk­li­chen Berufen neben einem guten Gehalt immer mehr nach sinn­vol­ler Arbeit, ange­neh­mer Arbeitsatmosphäre, Flexibilität und Work-Life-Balance.

Das Handwerk ist prädestiniert für New Work-Experimente

Handwerkliche Berufe haben ein gro­ßes Sinn stif­ten­des Potenzial. Schließlich gibt es weni­ge Tätigkeiten, in denen Ergebnisse der eige­nen Arbeit so sicht­bar sind wie im Handwerk.

Außerdem sind Handwerksbetriebe oft klein oder mit­tel­stän­disch und seit jeher an prag­ma­ti­schen Lösungen inter­es­siert, und somit extrem fle­xi­bel.

Wer sagt zum Beispiel, dass alle so lan­ge arbei­ten müs­sen wie der Chef? Von fle­xi­blen Arbeitszeiten pro­fi­tie­ren alle. Wäre es nicht groß­ar­tig, wenn Kunden auch am frü­hen Morgen und am Abend jeman­den errei­chen könn­ten anstatt nur von 9 bis 17 Uhr einen Ansprechpartner zu haben?

Das geht natür­lich nur, wenn die Hierarchien flach sind und Mitarbeiter selbst Entscheidungskompetenzen haben. Auch das ist im Sinne der Kunden. Es ver­kürzt im Zweifel näm­lich sinn­lo­se Wartezeiten, wenn etwas mal nicht so läuft wie geplant.

Nicht zuletzt: Handwerkliche Tätigkeiten leben von guten Ideen. Schließlich läuft auf kei­ner Baustelle immer alles glatt (genau­so wie in Produktionsabläufen). Wieso also soll­ten Handwerker nicht von Kickertisch, Kreativworkshops und Co. pro­fi­tie­ren?

Das Handwerk ist prä­de­sti­niert für New Work.

Es geht auch ganz ohne Hierarchien: Best Practices

Dass es nicht nur in Start-ups, son­dern auch im Handwerk sogar ganz ohne Hierarchien geht, zeigt das Beispiel der Alois Heiler GmbH aus der Nähe von Heidelberg. In dem Unternehmen, das auf maß­ge­fer­tig­te Glasbauteile – etwa für Duschen, Büros und Wohnräume – spe­zia­li­siert ist, gibt es for­mal über­haupt kei­ne Führungskräfte mehr.

Geschäftsführer Stephan Heiler über­nahm den Betrieb 2011 von sei­nem Vater und bau­te ihn ab 2014 gemein­sam mit den rund 55 Mitarbeitern radi­kal um. Heute ist das Unternehmen in Organe geglie­dert, die als Teams weit­ge­hend selbst­be­stimmt arbei­ten und auch selbst dar­über ent­schei­den dür­fen, wann und wo sie arbei­ten – sofern das betriebs­be­dingt mög­lich ist.

Aber auch Unternehmen, die ihre Führungskräfte nicht gänz­lich abset­zen möch­ten, kön­nen durch­aus im Sinne des New-Work-Wertekatalogs arbei­ten. So wie die Firma Klima-Bau Volk aus Wetzlar.

Die Geschäftsführerin des Familienbetriebes, Christina Kersten, die das Unternehmen 2009 von ihrem Vater über­nahm, weiß um die Bedeutung indi­vi­du­el­ler Arbeitsmodelle. Deshalb ermög­licht Klima-Bau Volk den rund 150 Mitarbeitern heu­te Sonderwünsche von Home-Office bis 4‑Tage-Woche, wo immer es betriebs­be­dingt mög­lich ist.

Auch die inter­ne Kommunikation und die Fehlerkultur haben sich mit dem Generationenwechsel radi­kal gewan­delt: Vertrauen und Offenheit sind an die Stelle des alten Führungsmodells getre­ten. Das alles mit Erfolg, wie Christina Kersten fest­stel­len durf­te: Fachkräfte bewer­ben sich gezielt bei dem Spezialisten für Heiz‑, Kälte‑, Lüftungs- und Sanitärtechnik – der fami­liä­ren Strukturen und guten Arbeitsbedingungen wegen.

Zufriedene Mitarbeiter sind gute Mitarbeiter

Beim New Work geht es nicht dar­um, Arbeitsabläufe zu digi­ta­li­sie­ren, um Mitarbeiter ins Home-Office; schi­cken zu kön­nen und Büroraum zu spa­ren. Es geht auch nicht dar­um, den Arbeitsort in einen Spielplatz zu ver­wan­deln oder ein­fach alles zu kopie­ren, was im Silicon Valley zu Innovationen führt und ansons­ten wie gewohnt wei­ter­zu­ma­chen.

Erinnern wir uns kurz: Kernziel von New Work ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter, um den eige­nen Job bes­ser und erfüll­ter aus­zu­üben. Wer also auf Wünsche hört und ein­geht, ist auf einem guten Weg – ganz egal ob am Schreibtisch oder in der Autowerkstatt. Und auch, wenn Kabel nun mal auf der Baustelle ver­legt oder repa­riert wer­den müs­sen, heißt das nicht, dass Elektriker kein Anrecht dar­auf haben, sich ihre Arbeitsbedingungen so zu gestal­ten, dass sie bes­ser zum eige­nen Leben pas­sen.

Das große Handbuch Innovation: 555 Methoden und Instrumente für mehr Kreativität und Innovation im Unternehmen von Benno van AerssenDetails zum Buch