Können Sie sich vorstellen, dass ein Elektriker eine Baustelle aus dem Home-Office betreut? Schwierig, schließlich lassen Kabel sich nicht digital verlegen. Aber haben Sie vielleicht schon mal überlegt, wie eine Autowerkstatt profitieren würde, wenn die Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten flexibel gestalten dürften? Und wäre es nicht auch für eine Fliesenlegerin schön, wenn sie in ihrer Kaffeepause eine Runde Kickern gehen könnte, um die Kreativität anzukurbeln?
Wenn wir über neue Arbeitsformen reden, haben wir meist Menschen im Sinn, die ihre Arbeit am Schreibtisch verrichten. Handwerker tauchen in diesen Überlegungen selten auf. Schließlich können handwerkliche Tätigkeiten nicht mal eben schnell digitalisiert werden.
Dabei ist New Work keinesfalls nur etwas für Designer, Werbetexter oder Betriebswirte. Wie Handwerksbetriebe und ihre Kunden von neuen Arbeitsformen profitieren, warum sie dafür geradezu prädestiniert sind und wo die Grenzen liegen, erklären wir in diesem Artikel. Außerdem haben wir zwei Beispiele von Betrieben, in denen New Work längst angekommen ist.
Der Fachkräftemangel macht sich in klassischen handwerklichen Ausbildungsberufen stark bemerkbar. Das liegt nicht unbedingt an mangelnden Perspektiven oder den Gehaltsaussichten Schließlich können sich viele Handwerksbetriebe derzeit vor Aufträgen kaum retten.
Laut Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) blieben im Jahr 2021 bundesweit beispielsweise rund 13.400 offene Stellen in der Bauelektrik unbesetzt. 11.400 Fachkräfte fehlten in der Sanitär- und Heizungstechnik – die beiden Branchen, die der Fachkräftemangel im Handwerk am stärksten trifft.
Gleichzeitig streben insbesondere junge Arbeitnehmer auch in handwerklichen Berufen neben einem guten Gehalt immer mehr nach sinnvoller Arbeit, angenehmer Arbeitsatmosphäre, Flexibilität und Work-Life-Balance.
Handwerkliche Berufe haben ein großes Sinn stiftendes Potenzial. Schließlich gibt es wenige Tätigkeiten, in denen Ergebnisse der eigenen Arbeit so sichtbar sind wie im Handwerk.
Außerdem sind Handwerksbetriebe oft klein oder mittelständisch und seit jeher an pragmatischen Lösungen interessiert, und somit extrem flexibel.
Wer sagt zum Beispiel, dass alle so lange arbeiten müssen wie der Chef? Von flexiblen Arbeitszeiten profitieren alle. Wäre es nicht großartig, wenn Kunden auch am frühen Morgen und am Abend jemanden erreichen könnten anstatt nur von 9 bis 17 Uhr einen Ansprechpartner zu haben?
Das geht natürlich nur, wenn die Hierarchien flach sind und Mitarbeiter selbst Entscheidungskompetenzen haben. Auch das ist im Sinne der Kunden. Es verkürzt im Zweifel nämlich sinnlose Wartezeiten, wenn etwas mal nicht so läuft wie geplant.
Nicht zuletzt: Handwerkliche Tätigkeiten leben von guten Ideen. Schließlich läuft auf keiner Baustelle immer alles glatt (genauso wie in Produktionsabläufen). Wieso also sollten Handwerker nicht von Kickertisch, Kreativworkshops und Co. profitieren?
Das Handwerk ist prädestiniert für New Work.
Dass es nicht nur in Start-ups, sondern auch im Handwerk sogar ganz ohne Hierarchien geht, zeigt das Beispiel der Alois Heiler GmbH aus der Nähe von Heidelberg. In dem Unternehmen, das auf maßgefertigte Glasbauteile – etwa für Duschen, Büros und Wohnräume – spezialisiert ist, gibt es formal überhaupt keine Führungskräfte mehr.
Geschäftsführer Stephan Heiler übernahm den Betrieb 2011 von seinem Vater und baute ihn ab 2014 gemeinsam mit den rund 55 Mitarbeitern radikal um. Heute ist das Unternehmen in Organe gegliedert, die als Teams weitgehend selbstbestimmt arbeiten und auch selbst darüber entscheiden dürfen, wann und wo sie arbeiten – sofern das betriebsbedingt möglich ist.
Aber auch Unternehmen, die ihre Führungskräfte nicht gänzlich absetzen möchten, können durchaus im Sinne des New-Work-Wertekatalogs arbeiten. So wie die Firma Klima-Bau Volk aus Wetzlar.
Die Geschäftsführerin des Familienbetriebes, Christina Kersten, die das Unternehmen 2009 von ihrem Vater übernahm, weiß um die Bedeutung individueller Arbeitsmodelle. Deshalb ermöglicht Klima-Bau Volk den rund 150 Mitarbeitern heute Sonderwünsche von Home-Office bis 4-Tage-Woche, wo immer es betriebsbedingt möglich ist.
Auch die interne Kommunikation und die Fehlerkultur haben sich mit dem Generationenwechsel radikal gewandelt: Vertrauen und Offenheit sind an die Stelle des alten Führungsmodells getreten. Das alles mit Erfolg, wie Christina Kersten feststellen durfte: Fachkräfte bewerben sich gezielt bei dem Spezialisten für Heiz-, Kälte-, Lüftungs- und Sanitärtechnik – der familiären Strukturen und guten Arbeitsbedingungen wegen.
Beim New Work geht es nicht darum, Arbeitsabläufe zu digitalisieren, um Mitarbeiter ins Home-Office; schicken zu können und Büroraum zu sparen. Es geht auch nicht darum, den Arbeitsort in einen Spielplatz zu verwandeln oder einfach alles zu kopieren, was im Silicon Valley zu Innovationen führt und ansonsten wie gewohnt weiterzumachen.
Erinnern wir uns kurz: Kernziel von New Work ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter, um den eigenen Job besser und erfüllter auszuüben. Wer also auf Wünsche hört und eingeht, ist auf einem guten Weg – ganz egal ob am Schreibtisch oder in der Autowerkstatt. Und auch, wenn Kabel nun mal auf der Baustelle verlegt oder repariert werden müssen, heißt das nicht, dass Elektriker kein Anrecht darauf haben, sich ihre Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie besser zum eigenen Leben passen.
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