Können Sie sich vorstellen, täglich 12 Stunden am Stück zu arbeiten? Was heute nur in absoluten Ausnahmefällen und unter Auflagen erlaubt ist, war zu Zeiten der Industrialisierung völlig normal. Damals schufteten die Fabrikarbeiter gut die Hälfte des Tages – und das an mindestens sechs Tagen pro Woche. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Wochenarbeitszeit bei durchschnittlich 48 Stunden. Doch erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts setzten Gewerkschaften die 40-Stunden-Woche durch.
Hier und da konnten Tarifparteien die Stundenzahl seitdem weiter drücken. Doch die 40-Stunden-Woche ist mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Einführung in weiten Teilen der Wirtschaft noch immer weit verbreitet.
Die Arbeitswelt indes hat sich seit der Jahrtausendwende so sehr weiter entwickelt, dass das geradezu absurd erscheint. Höchste Zeit, ein neues Verständnis von Arbeitszeit zu entwickeln. Reicht es nicht beispielsweise, an nur vier Tagen pro Woche zu arbeiten?
Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge wünschen sich 70 Prozent der Deutschen eine kürzere Arbeitswoche. In Belgien ist das seit Mitte Februar Realität – allerdings ändert sich dort nichts an der Gesamtstundenzahl. Das belgische Modell ist ein Modell zur Flexibilisierung. Es erlaubt, 40 Stunden Arbeit auf vier Tage aufzuteilen.
Das ermöglicht den Arbeitnehmern zwar eine bessere Vereinbarkeit von Job und Privatleben – immerhin müssen sie an drei Tagen gar nicht arbeiten – geht aber am Kern des Problems vorbei.
Schließlich hat kaum eine Kita zehn Stunden lang geöffnet. Und der Produktivität hilft es auch nicht, wenn die Arbeitstage länger werden. Im Gegenteil.
Im Sinne einer ausgeglichenen Work-Life-Balance ist jede Flexibilisierung der Arbeitszeit grundsätzlich zu begrüßen. Doch eine Arbeitszeitrevolution ist das belgische Modell nicht. Eine 4-Tage-Woche sollte nicht nur umverteilen, sondern die Gesamtarbeitszeit reduzieren.
Denn: Während immer mehr stupide Aufgaben von Maschinen übernommen werden, verdichtet sich die Arbeit. Anforderungen werden komplexer und das Gehirn ist ständig gefragt. So muss in weniger Zeit mehr geleistet werden.
Zudem bemisst Produktivität sich immer seltener in greifbarem Outcome und vielmehr in kreativem Potential. Doch Kreativität braucht Leerlauf. Niemand kann auf Knopfdruck kreativ sein. Es bringt also nichts, länger zu arbeiten um gute Ideen zu entwickeln.
Um das umzusetzen, müssen Arbeitgeber umdenken. Schließlich muss die Arbeitszeit so verteilt werden, dass etwa die Erreichbarkeit dennoch gegeben ist. Wenn von heute auf morgen niemand mehr montags arbeitet, kann das Kunden und Geschäftspartner frustrieren. Außerdem darf Arbeit nicht liegen bleiben. Jobsharing wäre eine Option, beides zu verhindern.
Aber auch Arbeitnehmer müssen bereit sein, für weniger Arbeitszeit ein geringeres Gehalt zu akzeptieren – oder nachverhandeln.
Übrigens: Der Ökonom John Maynard Keynes sagte schon 1930 eine Reduzierung der Arbeitszeit voraus – und zwar viel radikaler als wir sie heute diskutieren. Er glaubte, dass schon bald so viel Arbeit von Maschinen übernommen werden könne, dass eine Ära der Freizeit und des Überflusses anbrechen würde, in der niemand mehr als 15 Stunden – also etwa zwei Tage – pro Woche arbeiten müsse.
Was Keynes bei seiner Prognose nicht bedachte: Zwar wird immer mehr Arbeit automatisiert erledigt, doch den Menschen braucht es immer noch – als denjenigen, der eingreift, wenn es brenzlig wird und den, der Ideen (weiter-) entwickelt.
Von einer 2-Tage-Woche sind wir also noch weit entfernt. Aber wir sollten die Idee deshalb nicht gleich verwerfen. Schließlich sorgt eine gute Work-Life-Balance erwiesenermaßen für produktivere, kreativere, gesündere und motivierte Mitarbeiter.
Im nächsten Teil unserer Miniserie zum Thema Arbeitszeitrevolution stellen wir Ihnen ein weiteres Modell vor, das mehr Raum für Kreativität lässt: den 6-Stunden-Tag.
Und wenn Sie wissen wollen, wie Arbeitszeit außerdem deutlich flexibler gestaltet werden kann, schauen Sie doch mal hier vorbei: Flexibilität ist mehr als Gleitzeit. Und warum ein 6-Stunden-Tag Sinn macht, lesen Sie hier.
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